Pharma-Sparte: der 4,5 Mrd. EUR Traum vom Xarelto-Nachfolger ist in der Spätphasen-Studie geplatzt
Große Hoffnungen hingen von ‘Asundexian’ ab, Bayers Blutverdünnungsmittel für Patienten mit Vorhofflimmern, die ein erhöhtes Schlaganfallrisiko haben. Das Medikament sollte jährliche Umsätze von mehr als 4,5 Mrd. EUR generieren. Speziell war es dazu gedacht, die zukünftig ausfallenden Einnahmen des ebenfalls blutverdünnenden Mittels ‘Xarelto’ zu ersetzen, dessen europäischer Patentschutz 2026 ausläuft.
Im letzten Jahr konnte der hoffnungsvolle Wirkstoff in zwei mittelständigen Studien das Placebo nicht besiegen, in denen Patienten nach Herzinfarkten und einem bestimmten Schlaganfalltyp untersucht wurden.1 . Jetzt hat das Molekül auch in einer Phase-3-Studie versagt. Das Bayer-Team wird die Daten analysieren, um herauszufinden, warum ‘Asundexian’ unterhalb der Erwartungen blieb.
„Obwohl die Ergebnisse dieser Analyse die Fortführung der OCEANIC-AF-Studie nicht unterstützen, werden wir die Untersuchung von Asundexian in der OCEANIC-STROKE-Studie fortsetzen und derzeit andere Anwendungsgebiete bei Patienten, die antithrombotische Behandlung benötigen, erneut bewerten“, betont Dr. Christian Rommel, Mitglied des Vorstands der Pharma-Sparte der Bayer AG und globaler Leiter der Forschung und Entwicklung. 2 . Immerhin stellen die erhofften 4,5 Mrd. EUR 10 % von den Prognosen dar, die CEO Bill Anderson im gesamten Geschäftsjahr zu seinem Amtsantritt stellte.3 . Nun bleiben sie aus.
Agrar-Sparte: US-Jury erteilt Glyphosat neue Schadensersatz-Abfuhr in Höhe von 1,56 Mrd. USD
Die gute Nachricht für Investoren: Die Europäische Union wird die Zulassung von Glyphosat um 10 Jahre verlängern, obwohl sich ihre Mitgliedsstaaten nicht über den gleichnamigen Wirkstoff im Unkrautvernichtungsmittel 'Roundup™' der Bayer AG einigen konnten. Dies basiert auf Sicherheitsbewertungen der europäischen Lebensmittelagentur und der europäischen Chemikalienagentur. Es gelten jedoch neue Bedingungen und Einschränkungen, einschließlich maximaler Anwendungsraten.
Info zum Nachdenken: Glyphosat ist umstritten, seit der Schlussfolgerung der Krebsforschungsagentur der WHO im Jahr 2015, dass es wahrscheinlich krebserregend für Menschen sei. Andere Agenturen weltweit, einschließlich der US-Umweltschutzbehörde (EPA) und EU-Agenturen, haben es als nicht krebserregend eingestuft.
Diesen Schlussfolgerungen gegenüber steht jetzt die brandneue Schadensersatzforderung von 1,56 Mrd. USD aus den USA. Das pikante Detail am neuen Urteil: Diesmal wird auch Krebs als Verletzung mit aufgeführt. Am 19. November 2023 ordnete laut Reuters4 eine Missouri-Jury an, dass Bayer 1,56 Mrd. USD (1,42 Mrd. EUR) an vier Kläger zahlen muss, die behaupten, dass das Unkrautvernichtungsmittel 'Roundup™' von Bayer Verletzungen, einschließlich Krebs, verursache.
Das Urteil könnte den Druck auf das deutsche Unternehmen erhöhen, seine rechtliche Strategie zu ändern. Die US-Jury entschied, dass Bayers Monsanto-Geschäftsbereich für Fahrlässigkeit, Konstruktionsfehler und Unterlassung haftbar ist, weil die Kläger nicht ausreichend vor den potenziellen Gefahren der Verwendung von 'Roundup™' gewarnt wurden, so die aktuellen Gerichtsdokumente.
Die Kläger Valorie Gunther aus New York, Jimmy Draeger aus Missouri und Daniel Anderson aus Kalifornien wurden zusammen mit 61,1 Mio. USD an Ausgleichszahlungen und jeweils 500 Mio. USD an Strafschadensersatz entschädigt. Alle drei wurden mit Non-Hodgkin-Lymphomen diagnostiziert, die sie auf die Verwendung von 'Roundup™' auf ihrem Familienbesitz zurückführten. Draegers Ehefrau Brenda erhielt 100.000 USD für den behaupteten Schaden durch die Krankheit ihres Mannes. Dass sich Krebsfälle im Umgang mit dem Herbizid häufen, sollte Investoren zumindest nachdenklich stimmen.
Finanzen - Goodwill wird zum Risiko
Neben den Entwicklungen im Pharmageschäft sieht sich Bayer mit einer zusätzlichen Herausforderung konfrontiert: dem Goodwill (Geschäfts- oder Firmenwerte). In der Jahresbilanz 2022 wurde ein Goodwill von etwa 39 Mrd. Euro ausgewiesen. Im Juli gab das Unternehmen bekannt, aufgrund von Problemen im Glyphosat-Geschäft eine Abschreibung von 2,5 Mrd. EUR vornehmen zu müssen, was zu einem Verlust von 2 Mrd. EUR im 2. Quartal führte. Aktuell stehen in den Quartalszahlen aus Q3/23 rund 33,87 Mrd. EUR Goodwill einem Eigenkapital von 33,56 Mrd. EUR gegenüber.5
Der Goodwill 6 dient dazu, den Gesamtwert eines Unternehmens genauer darzustellen, insbesondere wenn immaterielle Vermögenswerte eine bedeutende Rolle spielen. Er kann bei der Beurteilung der finanziellen Gesundheit und der Marktposition eines Unternehmens hilfreich sein. Die Berechnung des Goodwill erfolgt, indem man den Kaufpreis eines Unternehmens nimmt und die Differenz zwischen dem geschätzten Wert der Vermögenswerte und Schulden abzieht. Unternehmen müssen den Goodwill-Wert in ihren Finanzberichten mindestens einmal im Jahr überprüfen und eventuelle Wertminderungen festhalten.
Für dieses Geschäftsjahr bleibt der hohe Goodwill im Vergleich zum Eigenkapital bei Bayer ein kritisches Thema. Außerdem ist das Unternehmen mittlerweile weniger wert an der Börse als seine Nettoschulden hoch sind. Diese liegen bei 38,1 Mrd. EUR im Vergleich zu 32,77 Mrd. EUR Market Cap.
Zwischenfazit:
CEO Bill Anderson braucht mehr gute Argumente, um den Investoren zu zeigen, dass eine Umstrukturierung notwendig sein könnte. Ein separates Agrar-Business ist wegen der laufenden rechtlichen Risiken und den zahlreichen Schadensersatzforderungen und Klagen riskant. Pharma abzuspalten, ist mit dem Flop der Phase III Studie auch nicht weniger risikobewusster. Daher könnte der neueste Kursverlust bei Bayer bedeuten, dass die verschiedenen Sparten des Unternehmens zusammenbleiben. Der Rotstift erfolgt, wie von Anderson bereits zu den letzten Quartalsergebnissen angekündigt, auf organisatorischer Ebene.
*„In Bezug auf die Leistung dieses Jahres sind wir nicht zufrieden. Fast 50 Mrd. EUR Umsatz, aber kein positiver Cashflow ist einfach nicht akzeptabel.“*
Bis Ende 2024 plant Bayer eine deutliche Reduzierung der Belegschaft durch die Beseitigung mehrerer Managementebenen. Anderson betont, dass es keine traditionellen Entlassungen zur Kostensenkung sein werden. Stattdessen soll die Rolle kleiner, selbstverwalteter Teams gestärkt werden, die näher an Kunden und Patienten agieren. „Es gibt immer noch 12 Ebenen zwischen mir und unseren Kunden. Das ist einfach zu viel.“ Wenn Anderson nun das unsichtbare Schwert des Employer Brandings zieht, um einen Kulturwandel zu forcieren, können sich Investoren auf ein Change Management von 3 bis 5 Jahren einstellen, bis nachhaltige Veränderungen greifen. Solange dauert ein organisatorischer Wandel in der Regel.7 . Doch Investoren könnten sich vielleicht hier auf die Erfahrung von CEO Anderson verlassen. Genau dieser Schachzug gelang ihm beim Vorgänger Roche. Aus einem aufgeblasenen Bürokratiemonster wurde eine unternehmerische Organisation. 8 .
Das Update erfolgt auf den initialen Report 04/2022.