Die Ablehnung durch den Obersten Gerichtshof beinhaltet die ausbleibende Überprüfung einer Entscheidung des Bundesberufungsgerichts. Diese besagt, dass das Bundesgesetz über Insektizide, Fungizide und Rodentizide keinen Vorrang vor dem Deliktsrecht der Bundesstaaten hat. Da der US Supreme Court sich nun explizit damit nicht befasst, werden Klagen wie die von Edwin Hardeman Fälle für niedrigere Instanzen in den US-Bundesstaaten.1 Somit gehen Glyphosat-Schadensersatzforderungen für die Leverkusener in zahlreiche nächste Runden. Denn: der mögliche Lymphdrüsenkrebs, der vielleicht durch das Pestizid verursacht wird, benötigt ca. fünf bis zehn Jahre bis zum Ausbruch.
Fehlende Warnhinweise auf Roundup-Produkten
Die US Supreme Court Richter sprechen damit indirekt 23.68 Mio EUR (25 Mio. USD) Edwin Hardeman zu. Hardeman verklagte Bayer bereits 2016 mit dem Argument, dass das Glyphosat-haltige Produkt Roundup keinerlei Warnhinweise zu krebserregenden Stoffen enthielte.2 Die damalige Jury entschied zu seinen Gunsten und sprach ihm 75,78 Mio. EUR (80 Mio. USD) zu. Die Summe wurde ursprünglich aus verfassungsrechtlichen Gründen auf 18,94 Mio. EUR (20 Mio. USD) angepasst. Gegen diese Entscheidung legte Hardeman Berufung ein.
Die Kernfrage der Berufung: Ist das Recht auf Schadensersatz eines Opfers mit Personenschaden (Hardeman) ausgeschlossen durch ein Fehlverhalten (Nichtkennzeichnung des Produktes) eines Unternehmens (Monsanto/Bayer), wenn die zuständige US-Behörde EPA bestätige, Glyphosat sei nicht krebserregend?
EPA hält Glyphosat bisher für nicht krebserregend
Die Environmental Protection Agency (EPA) ist eine unabhängige Exekutivbehörde der US-Bundesregierung, die sich mit Fragen des Umweltschutzes befasst. Wenn demnach eine US-Behörde in wissenschaftlichen Studien dem Wirkstoff Glyphosat keine Krebsverursachung nachweise, so bedarf es keiner besonderen gesundheitlichen Kennzeichnung auf Roundup Produkten, die von Privatkunden wie Hardeman verwendet wurden. Kein Krebsnachweis, keine Kennzeichnungspflicht, kein Fehlverhalten des Konzerns, so die Argumentation.
Der US-Bezirksrichter Vince Chhabria aus San Francisco betonte, dass er das Recht eines Kunden, wegen einer durch das Herbizid verursachten Krankheit oder eines anderen Schadens zu klagen, nicht beeinträchtigt. Chhabria genehmigte den Vergleich. Weil der US Supreme Court die Revision von Bayer abgelehnt hat, zieht der Konzern seine Konsequenzen. Es greift der im Mai 2021 vorgestellte “5-Punkte-Plan”. Bayer hat zusätzlich 3,8 Mrd. EUR (4,5 Mrd. USD) zurückgestellt, um die zu erwartenden Forderungen von Klägern wie Hardeman im Rahmen von Vergleichen und Gerichtsverfahren abzudecken. 3
Glyphosat-Wirkstoff weiterhin in Verwendung im B2B-Segment
Ab 2023 wird das Roundup Produkt an Privatkunden mit einem alternativen Wirkstoff anstelle von Glyphosat verkauft. Den größten Umsatz mit dem Pestizid erlangt der Konzern jedoch zu 90% weiterhin über B2B-Absatz an Landwirte. Dort wird das Produkt in seiner bisherigen Zusammensetzung weiter verwendet.
17. Juni 2022: EPA muss Gesundheitsrisiken von Glyphosat neu bewerten
Ob sich Bayer in Zukunft auf die EPA verlassen kann, ist fraglich. Am 17. Juni 2022 fällte ein anderes Gericht das Urteil, die Aussagen der EPA seien rechtswidrig und stellte sich damit an die Seite des US-amerikanischen Centers für Nahrungsmittel-Sicherheit CFS.4
In einer 54-seitigen Entscheidung stimmte das Gericht einstimmig den Argumenten der Anfechtungskläger zu, dass "die EPA nicht angemessen geprüft hat, ob Glyphosat Krebs verursacht und sich ihren Pflichten im Rahmen des Gesetzes über gefährdete Arten entzogen hat".5 Dazu erläutert Amy van Saun, leitende Anwältin beim CFS und Hauptanwältin in diesem Fall: "Der heutige Tag ist ein monumentaler Sieg für Landarbeiter, Wildtiere und die Öffentlichkeit. Das Gericht hat die Zulassung von Monsantos Glyphosat durch die EPA für rechtswidrig erklärt und die EPA dafür gerügt, dass sie reale Beweise für Krebsrisiken bei der Verwendung von Glyphosat ignoriert und die Auswirkungen auf gefährdete Arten nicht einmal berücksichtigt hat."
Zwischenfazit
Seit der Übernahme von Monsanto im Jahr 2016 für ca. 56,83 Mrd. EUR (60 Mrd. USD) hat sich der Börsenwert der Bayer AG um ein Drittel reduziert.6 3,8 Mrd. EUR hat Bayer für die Monsanto Klagen von Privatanwendern zurückgestellt. Ein Ende der Klagen ist aufgrund der US-Supreme Court Entscheidung nicht abzusehen. Neben dem angeschlagenen Marken-Image muss der Konzern in seinen weiteren Sparten wie Life Science und Consumer Health aufholen, um die hohen Ausgaben für den Monsanto-Deal wieder auszubalancieren. Auch stellt sich für Investoren die Frage, warum sich CEO Werner Baumann für den Kauf von Monsanto offenbar trotz Zweifeln und Kritik innerhalb des Unternehmens aussprach.
In der Pharma-Sparte hat Bayer die Zulassung von Xarelto in Japan erhalten. Der Verkauf des Blutverdünners stagniert in anderen Ländern wie China durch auslaufende Patente. Das Auslaufen ermöglicht einen Markt für Generika, also Medikamente mit gleichem Wirkstoff, die von Ärzten verschrieben werden können und preislich deutlich günstiger sind als Markenprodukte. Bayer hat einige neue Medikamente im Markt mit Fokus auf Herzkreislauf-, Nierenerkrankungen und Prostatakrebs (Nubeqa). Diese könnten für einen guten Umsatz sorgen.
Ausblick
Inwieweit Investoren den Image-Schaden rund um Monsanto verzeihen werden bleibt abzuwarten. Der Kurs für die Leverkusener wird insbesondere mit soliden Ergebnissen Punkte sammeln. Die Gaskrise in Deutschland und deren Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit der damit verbundenen inländischen Produktionsorte der Bayer AG sowie der Ukraine-Konflikt mögen das europäische Geschäft beeinflussen, doch Bayer ist ein Global Player. Ob sich der 2016 getätigte Kauf von Monsanto wirklich in Aufwand und Nutzen rechnet, muss der CEO noch deutlich machen - und das sowohl vor seiner Mannschaft als auch vor den Shareholdern.
Das Update erfolgt auf den initialen Report 04/22.