Die institutionellen Investoren setzen große Erwartungen in Bill Anderson. Sie erhoffen sich von ihm, dass er das Vertrauen der Anleger zurückgewinnt und die Struktur des Unternehmens gründlich prüft. Schließlich wurde seit Jahren über eine mögliche Aufspaltung spekuliert, die den Groll der Shareholder zumindest teilweise beseitigen könnte. "Für mich geht es darum: Hey, wir haben drei erstaunliche Geschäftsbereiche, die wirklich wichtige Produkte und Medikamente liefern", sagte Anderson. "Ich werde mich darauf konzentrieren, das alles zu berücksichtigen, wie wir den Fortschritt vorantreiben können und welche Möglichkeiten es gibt."
Am 28. April findet die alljährliche Hauptversammlung statt. Am 11. Mai folgen die Quartalszahlen aus Q1 2023. Rückblickend lief 2022, das Jahr mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, schleppend. Die Bayer AG konnte ihren Umsatz um 9 % auf 50,7 Mrd. EUR steigern. Auch das um Sondereinflüsse bereinigte EBITDA stieg um 21 % auf 13,5 Mrd. EUR. Doch an der Börse ist Bayer, einst das wertvollste Unternehmen im DAX, nur noch etwa so viel wert, wie es für Monsanto bezahlt hat.
Pharma-Sparte schrumpft sich gesund
In der Pharma Division erklärt Stefan Oelrich, der Frauengesundheit keine weitere F&E zu widmen. Das Unternehmen betonte, weiterhin auf die Entwicklung von Produkten im klinischen Stadium zu setzen. Hierzu zählt auch Elinzanetant, welches zur Behandlung von körperlichen Symptomen während der Wechseljahre eingesetzt werden soll. Bayer Pharmaceuticals ist zuversichtlich, dass die Behandlung einen Spitzenumsatz von über 1 Mrd. EUR generieren wird. Einer McKinsey Studie1 zeigt auf, dass im Jahr 2020 nur 1 % der F&E-Investitionen außerhalb der Onkologie auf frauenspezifische Erkrankungen entfielen. Maximal 4 % der Investitionen in der klinischen Phase widmeten sich frauenspezifischen Krebserkrankungen. Das Unternehmen konzentriert sich stattdessen auf vier therapeutische Kernbereiche: Onkologie, Herz-Kreislauf, Neurologie und seltene Krankheiten/Immunologie.**
Bayer hat neben Elinzanetant zwei weitere vielversprechende Wirkstoffe in der Pipeline, die sich auf die Behandlung von Endometriose konzentrieren. Diese Erkrankung tritt auf, wenn gebärmutterschleimhautähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutter wächst.
- Das erste Präparat, BAY2328065, hat bereits drei Phase-1-Studien erfolgreich abgeschlossen, um seine Sicherheit, Verträglichkeit und Pharmakokinetik zu bewerten.
- Das zweite Präparat, BAY2395840, wird auch zur Behandlung von diabetischen Nervenschmerzen getestet und hat ebenfalls drei Phase-1-Sicherheitsstudien bestanden.
Eine vierte Phase-1-Studie, die sich speziell an Patienten mit diabetischen neuropathischen Schmerzen und Nierenfunktionsstörungen richtet, steht noch aus und die Rekrutierung ist im Gange. Bayer ist auf dem richtigen Weg, um die Behandlung von Endometriose und diabetischen Nervenschmerzen zu verbessern und Patienten Hoffnung zu geben.
Crop Science: erste Digitalversuche und weiter stark im Pflanzenschutz
Im vergangenen Jahr hat die Agrarsparte 15 Projekte vorangebracht, davon 9 neue Wirkstoffe im Pflanzenschutz, 4 digitale Lösungen und 2 Pflanzeneigenschaften. Das Saatgut-Portfolio wurde um rund 500 neue Sorten in den Bereichen Mais, Sojabohnen, Baumwolle und Gemüse ergänzt. Im Pflanzenschutz-Geschäft hatte Bayer Crop Science im vergangenen Jahr 250 neue Produktregistrierungen.
Zu den digitalen Lösungen gehört u.a. die digitale Plattform FieldView2 . FieldView soll Landwirten helfen, ihre Felder effizienter und effektiver zu bewirtschaften, indem sie Einblicke in die Leistung eines landwirtschaftlichen Betriebs gibt und Landwirte in die Lage versetzt, datengestützte Entscheidungen zu treffen. Dies geschieht z. B. durch Feldkartierung, Ertragsanalyse und Wetterüberwachung.
Seit 2019 besteht eine Kooperation zwischen Microsoft und Bayer Crop Science. Ziel der Partnerschaft ist es, eine weitere umfassende digitale Landwirtschaftsplattform zu schaffen, die den Landwirten Einblicke in jeden Aspekt ihres Betriebs bietet: Von der Aussaat über die Ernte bis hin zum Lieferkettenmanagement. Mit dieser Plattform können Landwirte ihre Betriebsabläufe optimieren, Abfälle reduzieren und die Nachhaltigkeit verbessern, was zu besseren Ergebnissen für Landwirte und Umwelt führt. Am 1. Juni sollen die Ergebnisse auf dem New Yorker Innovation Summit vorgestellt werden.3
Consumer Health profitiert von Corona-Pandemie und zunehmenden Allergien
Diese Division prägte eine hohe Nachfrage an Nahrungsergänzungsmitteln und frei verkäuflichen Erkältungspräparaten. Nicht verwunderlich, hatte doch Covid weltweit die Menschheit im Griff und sorgte mit grippeähnlichen Symptomen zu Krankheitsverläufen, die viele zu Hause auskurieren. Als alles brach lag, nutzte die Sparte Wachstumschancen im E-Commerce-Geschäft und konnte dort den Umsatz von 4 % auf rund 11 % steigern.
Sonnenschutz und Mittel gegen Allergien sind weiterhin wertvolle Produkt-Themenwelten in der Verbrauchergesundheit weltweit. So ist Astepro von Bayer ein Nasenspray zur Behandlung der Symptome von saisonalem und ganzjährigem, allergischem Schnupfen bei Erwachsenen und Kindern ab 12 Jahren. Das Mittel setzt ein Antihistamin frei und lindert dadurch allergische Reaktionen. Bei allergischem Schnupfen überreagiert das körpereigene Immunsystem auf Allergene wie Pollen, Tierhaare oder Hausstaubmilben. Dies führt zu Symptomen wie Niesen, Juckreiz, laufende Nase und Verstopfung, welche für die Betroffenen quälend sind. Seit es ohne Verschreibung frei verkäuflich ist, erhofft sich Bayer damit ein starkes Umsatzwachstum.
Multimandats-Mann Winkeljohannn soll Suche nach neuem CEO forciert haben
Norbert Winkeljohann, der Vorsitzende des Vorstands, hat kürzlich die Unterstützung von zwei renommierten Aktionärsberatungsfirmen für seine Wiederwahl am 28. April erhalten. Trotz der Kritik zweier deutscher Investmentgruppen, die seine zahlreichen Verwaltungsratsmandate bemängeln, scheint Winkeljohann auf einem guten Weg zu sein, seine Position zu behalten.
Die Tatsache, dass er von führenden Experten der Branche empfohlen wird, spricht für seine Fähigkeiten und sein Engagement für das Unternehmen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation weiter entwickelt. Winkeljohann und sein Team können sicher sein, dass sie die Unterstützung einiger wichtiger Akteure in der Aktionärslandschaft haben.
Neben seinem Mandat bei Bayer gehört Winkeljohann als stellvertretender Vorsitzender dem Aufsichtsrat der Deutschen Bank an. Zudem sitzt er in den Kontrollgremien4 mehrerer mittelständischer Hersteller: Beim Reifenhändler Bohnenkamp, dem Stahlhersteller Georgsmarienhütte und dem Baustoffspezialisten Sievert.
„Wir werden gegen die Wiederwahl von Herrn Winkeljohann stimmen“, erklärt Fondsmanager Janne Werning von der Union Investment 5 , „die Ämterhäufung ist eklatant.“ "Der Aufsichtsratsvorsitz bei Bayer sei kein Teilzeitjob, kommentiert Werning", „Vor Bayer liegen große Aufgaben. Es geht um die Überprüfung der Konzernstruktur und darum, das beschädigte Vertrauen am Kapitalmarkt wiederherzustellen.“ Winkeljohann versicherte schriftlich, dass er allen seinen Aufgaben im Rahmen seiner Position bei der Bayer AG bisher nachgekommen ist.
Zwischenfazit
Analysten sehen die Entwicklungen größtenteils positiv und geben klare Kaufsignale. Auch ist der innere Wert des Unternehmens noch lange nicht erreicht, laut Analyse von Refinitv. Am 28. April findet die jährliche Hauptversammlung statt. Die letzte für Werner Baumann. Und möglicherweise der Beginn einer neuen Ära für Investoren. Dem neuen CEO Bill Anderson steht ein Groß-Reinemachen bevor. Baumann hinterlässt mit der Causa Monsanto einen ganzen Sack voller Klageschriften bzgl. der möglichen Krebserregung des Unkrautvernichtungsmittels RoundUp. Die Pipeline in der Pharmasparte rumpelt vor sich hin, Oelrich greift zu drastischen Veränderungen.
Hinter den Kulissen rumort es. Neben dem Führungswechsel brodelt der Machtkampf der Großinvestoren, ihre Stimmrechte nach ihren Interessen geltend zu machen. Dagegen wirken die geplanten Gegenstimmen zur Entlastung des Vorstands von Umweltaktivist Marius Stelzmann fast wie ein Sturm im Wasserglas6
“Einige unserer Mitglieder sind kritische Aktionäre und wir sammeln jetzt die Stimmrechte, um in den entsprechenden Fragen gegen die Entlastung des Vorstandes und des Aufsichtsrates zu stimmen.” So zeigt sich die Bayer AG trotz bisher rund 154.000 Klagen von Glyphosat-Geschädigten allein in den USA nicht bereit, das von der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend" eingestufte Herbizid vom Markt zu nehmen. 7
Eins ist auffällig und eine altbekannte Leverkusener Kommunikations-Strategie: Je mehr Bayer etwas augenscheinlich Gutes tut, sei es Charity oder Stiftungen unterstützen, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass es hinter den Kulissen an der klaren Ausrichtung und Substanz fehlt.
Bill Anderson gibt sich optimistisch und wagt sich auch an das urdeutsche Heiligtum. Eines seiner Hauptziele wird es sein, die interne Bürokratie von Bayer zu verschlanken. "Wir stellen Leute von den besten Universitäten der Welt ein, die besten Absolventen, und dann haben wir eine Menge Leute, die ihnen sagen, was sie tun können und was nicht. Das macht keinen Sinn", sagte er und fügte hinzu, dass die Mitarbeiter in der Lage sein müssten, "Dinge zu erledigen, ohne fünf Genehmigungsebenen zu durchlaufen". Bürokratie verschlanken mag ein neues Synonym für Personalkürzungen sein.
Zu guter letzt sind die Aktionäre von den Turbulenzen der vergangenen Jahre mehr als verstimmt und drängen auf eine nachhaltige Veränderung des Konzerns. Anderson muss nun beweisen, dass er die Fähigkeit besitzt, diese Probleme zu lösen und das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen.
Das Update erfolgt auf den initialen Report 04/2022